Das gab es wirklich noch nie!!!
Das hat es in vierzehn Staffeln „Germany’s Next Topmodel“ noch nie gegeben: Heidi gibt einer anderen Person den Vortritt und gewährt Model-Veteranin Gisele Bündchen stolze zweieinhalb Minuten alleinige Sendezeit! Leider war Giseles Anwesenheit ähnlich entbehrlich wie die der Klum, da auch das brasilianische Supermodel nicht unbedingt die eindrucksvollsten Tipps auf Lager hatte, was Persönlichkeitsentwicklung betrifft. So empfiehlt sie bei Nervosität einfach zu atmen. Etwas, zu dem ich allerdings häufiger raten würde, sonst währt die heißersehnte Modelkarriere tatsächlich nur einen Wimpernschlag lang. Heidi lauscht trotzdem andächtig – lässt sich der eine oder andere Ratschlag vielleicht nächstes Jahr als der eigene verkaufen und tatsächlich einmal ein Mädchen vor der Eliminierung retten. Aber vor allem ist es an der Zeit, die Aufmerksamkeit wieder auf sich selbst zu lenken und Gisele mit lautem Applaus gezielt hinaus zu geleiten. Ohne Wildcard und Juroren-Stuhl. Dafür reicht die knapp zwanzigjährige Freundschaft dann doch nicht.
Volksleiden: Handy-Entzug
Ganz so gefruchtet hat die Bündchen’sche Motivationskur scheinbar nicht. Denn Enisa, die ach so inspiriert von den Worten des Supermodels war, sorgt kurz darauf für die nächste Sensation: Sie verlässt als erste Kandidatin in der Topmodel-Geschichte aufgrund von Smartphone-Entzugserscheinungen die Show. „It’s so hard not having a phone, you know?“, erklärt sie schluchzend ihrem YouTuber-Freund via Skype-Telefonat. Sogar eine Panikattacke soll sie bekommen haben, weil man ihr den Zugriff aufs Handy verwehrte. Daily business eines jeden Elternteils, das auf dieselben pädagogischen Maßnahmen zurückgreift, wenn es um die Erziehung der pubertierenden Kinder geht. Spätestens jetzt weiß ich, warum es gar nicht so blöd war, mit einem B-Free-Kids sozialisiert zu werden, statt mit einem Samsung Galaxy S10.
Aber wen wundert es? Zeit ist Geld. Vor allem bei mittelfristig erfolgreichen Influencern, denen bei jedem Insta-Post-Versäumnis die Privatinsolvenz droht. Drücken wir also Enisa die Daumen, dass ihr das nicht passiert – vor allem weil sie mit ihrem noch nicht diagnostizierten und doch schwerwiegenden Leiden jetzt zwölf Stunden Flugzeit vor sich hat, in der ihr das Smartphone trotz Verfügbarkeit kein spannender Zeitgenosse sein wird.
Es ist RANKING!
Eine Sensation jagt in dieser Folge die nächste: Denn überraschenderweise ist Mega-Super-Duper-Ultra-Fotograf Rankin (immer noch vornamenlos) extra nach Los Angeles geflogen, um die Mädchen – wie so oft – nackt zu fotografieren. Dass im Endeffekt Porträtaufnahmen dabei rauskamen, bei denen die Models ruhig ihre Jeans hätten anbehalten können, tut nichts zur Sache. Es ist schließlich Rankin. R A N K I N. Und der weiß schon was er tut. Heidi aus dem Weg gehen zum Beispiel, wenn die ihn wieder mit Liebkosungen um den Hals fällt. Der kann das nämlich gar nicht ab – genauso wenig wie stillose Bilder. Und da kommt Lena ins Spiel, deren elendslange braune Extensions und der dicke Kajal um die Augen sie weniger wie ein Topmodel als mein Nachtschicht-Alter-Ego (heute Bollwerk) aus dem Jahr 2006 aussehen lassen. Aber wenn schon vulgär, dann richtig – also befiehlt der Starfotograf der Siebzehnjährigen, ihn zu beschimpfen. Ein impulsives „No!“ oder „Go away“ hätte es dabei zwar getan, aber Lenas lautstarkes „Fuck you, Ranking!!!“ sorgt für die extra Würze, um in Erinnerung zu bleiben. Vor allem wenn man dabei den Namen des Starfotografen jedes Mal falsch ausspricht.
Augen auf, Ohren auf, Helmi ist da!
Während die Österreicher mit süßen Maskottchen auf Verkehrssicherheit aufmerksam machen, hat der Mahatma Gandhi der Fotografieszene Rankin natürlich ein weit kreativeres Gespür dafür, wie lebenswichtige Botschaften mit künstlerischem Anspruch vermittelt werden können. Also packt er die bisher noch nicht mit Auffälligkeit protzende Alicija ein, um mit ihr in London eine ganz besondere Fashion-Kampagne zu schießen: Die Verkehrssicherheitskampagne des deutschen Bundesministeriums. Nicht zu verwechseln mit einer Sexualverkehrskampagne, was bei der „Naked-Edition“ durchaus hätte sein können. Tatsächlich geht es darum, den Fahrradhelm an die modebewusste Frau zu bringen. Ähnlich glanzvoll wie Angela Merkels unfehlbaren Freizeitmode-Stil in einer Vögele-Fotostrecke abzulichten.
Denn wer braucht schon die Vogue, wenn man auch für mehr Sicherheit hinter dem Fahrrad-Lenker fotografieren kann? Doch glaubt nicht, dass das in der freien Natur oder gar im gefährlichen Straßenbetrieb der Londoner Innenstadt stattfindet! Ist das doch viel zu banal für ein wahres Künstlerherz. Stattdessen shootet Rankin in einer gefühlt fünfunddreißig Quadratmeter großen Zweizimmerwohnung, wo sich Alicija halbnackt im Negligé mit Sturzhelm am Kopf im Bett räkeln darf. Brillant! Dafür extra nach London zu fliegen und sich nicht in ein kalifornisches Stundenhotel einzumieten, zeigt einmal mehr den artistischen Feingeist. Aber auch, dass sich das Bundesverkehrsministerium nicht davor scheut, junge Frauen für eine landesweite Kampagne sexuell zu instrumentalisieren, verdeutlicht das Vertrauen in Rankins hohe Kunst. Und meine Theorie, dass Rankin vielleicht doch nicht ganz der Superstarfotograf ist, wie uns vierzehn Staffeln GNTM weismachen wollten.
Hätte Lena nur auf die Verkehrssicherheitskampagne gehört
Die letzte Neuheit wartet bei der Entscheidung. Nachdem jede Staffel damit wirbt, um einiges härter zu sein als die vorhergehende, nimmt sich auch Liebling der Nation Jasmin dieses Credo vorbildhaft zu Herzen. Denn als die sich von „Ranking“-Namensgeberin Lena im Backstage-Bereich nicht weiter anschreien lassen will, entscheidet sich Jasmin dafür, den auditiven Strapazen mit einer g‘sunden Watschn ein Ende zu bereiten. Das täglich Brot eines jeden Nicht-Einzelkindes, das zur selben Konfliktlösung greift, wenn die Schwester wieder unerlaubt die Lieblingshüfthose ausführt.
Bei GNTM aber löst Jasmins sogenannte „Respekt-Schelle“ – oder die Gewalttat, wie es Medien titulieren – einen Skandal der Superlative aus. Heidi verlässt überstürzt die Entscheidung und eilt zu Hilfe. Melissa, die gerade ihr Urteil verkündet bekommt, bleibt indessen alleine mit Rankin zurück und durchlebt fünfundzwanzig Minuten unangenehmste Small-Talk-Hölle. Nun, das halte ich für grausam.
Heidi findet Lena mit einem Kühlbeutel auf dem Kopf vor und ist erleichtert. Gottseidank war dank des Umstylings genügend Deckhaar vorhanden, sie vor gröberen Verletzungen zu bewahren. Wobei Lena es – inspiriert durch Rankins Kampagne – jetzt vielleicht vorziehen wird, mit Sturzhelm durch die restliche Staffel zu ziehen. Aber auch Heidi darf sich ducken – hat Lenas Anwalt jetzt Klage eingereicht: gegen Jasmin und das ganze Prosieben-Team. Nachvollziehbar – mein Anwalt, den ich mit siebzehn selbstverständlich auch hatte, würde selbiges tun. Dass Jasmin aber nach ihrem sofortigen Rauswurf ohne ihre 5.000 Euro teuren Echthaarteile aus Los Angeles abreisen musste, wäre mir persönlich als Vergeltungsmaßnahme genug gewesen.
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