Wem die „Game of Thrones“-Episode „The Red Wedding“ heftig vorkam, der wurde jetzt im Halbfinale von GNTM eines Besseren belehrt. Selten war die Welt so geschockt, selten nahm ein eindeutiger Plot eine solch überraschende Wende und selten war ich selbst so entrüstet wie in den letzten Sekunden dieser fünfzehnten Episode. Aber gehen wir an den Anfang zurück.
Nicht bewegen!
Es ist die letzte reguläre Woche, die – wie wir dank Vanessas Instagram Stories, als ihr Account noch nicht von Prosieben blockiert wurde, wissen – im März abgedreht wurde. Es geht um den Einzug in die Finalshow. „Alle fünf haben das Potential Germany’s Next Topmodel zu werden und trotzdem werden am Ende der Woche nicht alle ins Finale einziehen“, erklärt Heidi, ohne zu wissen wie Recht sie damit hat. Also geht es diesmal tatsächlich um alles, auch wenn uns das die vorhergehenden Folgen ebenfalls versucht haben zu suggerieren. Das letzte Euzerl „Personality“ wird rausgequetscht, um Heidi so kurz vor dem Zieleinlauf endgültig von sich zu überzeugen. Leider Gottes ist Kerstin Schneider, die Chefredakteurin der „Harper’s Bazaar“, charmeresistent und besteht beim heißersehnten Covershooting eher auf Ausdruckslosigkeit als auf expressives Posen. Und ja nicht die Hände ins Gesicht – ganz wichtig. „Sie ist sehr detailisiert“, erklärt Simone fachgerecht im Model-Jargon. Während die Models also sonst angehalten waren, so viel wie möglich anzubieten, hatten sie diesmal vorzugsweise in der Yoga-Baum-Haltung zu verharren. Auch gut. Von ruckartigen Bewegungen war bei der eng gezogenen Kalbsrollbraten-Leinenschnur um den Hals sowieso eher abzuraten.
Du bist, was du isst
Cäcilia und Vanessa sind sogar so talentiert im Stillstehen und Geradeausstarren, dass sie mitsamt Kleidung und Schuhen in den Pool steigen dürfen, um sich dann im Wasserleichen-Style an der Oberfläche treiben zu lassen. Das Gesicht durfte ausnahmsweise nach oben schauen. Was für eine Belohnung! Jedoch konnte ich fotografisch unbegabter Mensch mir nicht vorstellen, was für Bilder dabei rauskommen könnten. Vor allem wenn der Fotograf beinhart vom Rand des Pools weiter fotografiert und nicht etwa von oben, aber siehe da: die Resultate geben ihm völlig Recht! Sehen die beiden Mädels doch tatsächlich aus wie verhedderter Beifang im Schleppnetz eines Fischkutters. Sehr authentisch und umweltpolitisch relevant. Haben wir uns schon genug Sorgen um Delfine gemacht. Könnte schließlich bald „Germany’s Next Top Tuna“ in unserem Einkaufswagerl landen.
Von Ausdauerlutschern und blauen Augen, die schon bei Game of Thrones nichts Gutes verheißen haben
Sayana ist todtraurig. Ihr Shooting ist nicht so gut gelaufen – sie durfte trocken bleiben (anders als Vanessas Verlobter, dessen Optik mich immer wieder wundern lässt, wieviele Bierhülsen er sich heute wohl schon reingepfiffen hat). Aber es gibt Aufmunterung: Besuch ist da! Von Heidi! Dass das grausam ist, denkt sich auch die Redaktion und schickt freundlicherweise in letzter Sekunde auch noch die Angehörigen mit. Doch nichts gibt’s geschenkt: Erst werden die Mädchen mit Geschenken aus der Heimat in die Irre geführt. Das erste ist für Say-Cutie. „Was heißt denn Say-Cutie?“, fragt Heidi wissbegierig die indische Kultur noch besser kennenzulernen. Es ist Englisch und heißt süße Sayana. Die emotionalen Worte ihres Verlobten möchte Sayana aber für sich behalten. Gut, dass der sie am Tag davor schon lautstark vor den Prosieben-Kameras verlesen hat. „Everyone can say I love you, but not everyone can wait for you”, schreibt der etwa, wobei ich drei Monate Abstinenz nicht unbedingt als Meisterleistung anerkennen würde. Schon gar nicht, wenn man seine Angebetete in einem Tempel aufgegabelt hat, wo man seltener zu Promiskuität neigt.
Suffnase Roman entscheidet sich für ein weniger emotionales Präsent an seine Vanessa und schickt ihr ein „blaues Auge“ ohne dabei die Ironie auch nur ansatzweise zu erkennen. Wobei ich nicht sicher bin, was schlimmer ist: die unglückliche Formulierung oder sich das hässlich klobige Modeschmuck-Teil auch wirklich umhängen zu müssen. Ich erinnere kurz an Christine in Staffel acht: Die hat violette Louboutins bekommen. Nur so als Anregung für zukünftige Investitionen. Wobei, immer noch besser als Alicija, die von ihrem Freund sogenannte „Ausdauerlutscher“ bekommt. Schelm ist, wer hier Böses denkt. Auf jeden Fall ist nach den Prognosen „blaues Auge“ und „Ausdauerlutscher“ somit klar, was den Mädels blüht, wenn sie wieder zu Hause sind.
Diese Inder sind schon ein komisches Volk
Und damit die nicht so lang warten müssen, kommt es nach der Geschenkevergabe direkt zur ach so überraschenden Familien-Zusammenführung. Wieder machen wir Bekanntschaft mit einer Reihe Mitt-Zwanziger-Boyfriends, die spätestens nach dem Sommer im Leben der Mädchen wieder Geschichte sind. Bis dahin kann man das bisschen Testosteron aber auch ausnutzen, denkt sich Heidi und nötigt Phresh (Sayanas indischen Verlobten, der zwar anders heißt, aber ich habe mir nicht gemerkt wie) sich noch in der Hauseinfahrt der Modelvilla seines T-Shirts zu entledigen. Vor allen Anwesenden. Macht man vielleicht so in Indien. Und wir wissen das nur nicht, weil wir nicht so oft in Indien waren wie Heidi. Und wie Paris Hilton. Auf deren Feingefühl mit fremden und hochreligiösen Kulturen umzugehen, wird also schon Verlass sein.
Heidi versteht sich aber auch mit den Polen gut!
Anerkennend sei gesagt: Heidi hat Phresh nicht gezwungen, seinen liebsten Bollywood-Tanz aufzuführen und sich dabei lasziv mit Curry zu beschmieren. Denn bevor es dazu kommt, ist sie schon auf dem Weg zu Simones polnischer Mutter, um ihr Kind mal kurz zu beleidigen. „In ganz Kalifornien gibt es keine Taschentücher mehr. So viel geweint hat ihre Tochter bei uns!“ Etwas, womit wohl kaum eine Tagesmutter außerhalb Chinas prahlen würde. Ein Glück, dass wir die Sprachbarriere haben, die wiederum Alicija nicht davor schützen kann, dass Heidi mitten in den innigen Kuss mit ihrem Boyfriend platzt, um zu fragen, wie es ihr jetzt geht. Gut, würde ich meinen, solange die Modelmama nicht erwartet mitmachen zu dürfen. Doch keine Sorge – steht Heidi mehr auf den Grunge-Typ als den „Ich zupfe mir meine Augenbrauen all day, every day“-Kandidaten. Blöd für Vanessa, deren Verlobter es nach einer scheinbar durchzechten Nacht auch gerade noch so in den Flieger geschafft hat.
Ich persönlich hätte ja die lieben Gäste in diesem Stadium der Competition nicht mehr vonnöten gehabt. Könnte ich generell nach fünfzehn Wochen Model-Intensiv-Crash-Kurs auf lieb gemeinte Tipps und Tricks meiner nicht-modelnden Angehörigen verzichten. Geschweige denn auch noch vor ihnen eliminiert zu werden. So passiert bei Alicija, die bei den Proben zum Entscheidungswalk auch noch von ihrem Liebling ermahnt wird, schon einhundert Prozent geben zu müssen. „Ich gebe schon hundert Prozent, keine Sorge“, mäkelt die Brünette ihrem Freund zurück und überlegt, ob Heidis tolle Überraschung auch ein Rückgaberecht hat. Aber wahrscheinlich nicht, nachdem es Alicija noch am Vortag ein Riesen-Anliegen war, ja ungestört mit ihrem Wasserstoff-Ken zu sein. Und wieder lernen wir: Das Markerl immer erst dann entfernen, wenn man ganz sicher ist, die Ware auch wirklich behalten zu wollen.
Cäcilias erbitterter Kampf mit der Selbstwahrnehmung und Heidis fragwürdige Perzeption
Hilfreiche Unterstützung gibt es immerhin musikalisch von Lena Meyer-Landrut, die anders als Nico Santos mit nicht nur einem Lied im Handgepäck anreist. Außerdem ist es ihr ein Anliegen, die Mädchen backstage zu motivieren und ihnen eingeschnürt in ihrer Korsage zu demonstrieren, dass sie jeglichen Taillenumfang der Models nochmal um die Hälfte unterbieten kann. Gesungen hat sie darin aber nicht – reicht es, wenn es Simi in regelmäßigen Abständen aufgrund von Hyperventilation irgendwo runterdonnert.
Cäcilia ist beflügelt von Lenas Einlage und wie Alicija fälschlicherweise überzeugt beim Entscheidungswalk alles zu geben. Dabei reißt sie so hektisch mit einer Note Aggression an ihrem Umhang, dass man meinen könnte, der Stoff wiege eine Tonne. Aber es ist High Fashion, darüber lacht man nicht, erinnere ich mich an Cäcilias mahnende Worte vor ihrem Auftritt. „Sie versucht das Cape zum Leben zu bringen“, findet Heidi als Erklärung für das Spektakel. Lena Meyer-Landrut geht indessen auf Sicherheitsabstand, nachdem ihr das lebendige Cape nicht nur einmal fast über den Rücken geschnalzt hat. Als Cäcilia dann auch noch wie ein schwankender Barbapapa die Stiegen runterschunkelt, sind wir sicher. Es wird Cäcilias letzter Auftritt gewesen sein. Vielleicht kann sie ja irgendwann nochmal für Rahmspinat werben, wenn Iglo ein Revival des Verona-Feldbusch-TV-Spots plant.
Cäcilia ist sich sicher, dass alles, bis auf vielleicht die Stiegen-Passage, ganz toll war. Und auch Heidi ist vergleichsweise unkritisch, aber was soll sie auch machen? Das Finale gleich mit nur einem Mädchen bestreiten? In weiser Voraussicht trifft es also nur Alicija, die zuvor noch undramatisch meinte, nur wegen GNTM zu leben. Hätte sie mal besser für GNTM ein bisschen aufleben sollen. Muss sie nämlich nur gehen, weil Heidi sie nach eigener Aussage bis heute nicht kennengelernt hat. Wir übrigens auch nicht.
Boom!
Im Finale stehen also Simi, Vanessa, Sayana und Cäcilia. Und als ich schon bereit bin auf den Eurovision Songcontest umzuschalten und gerade noch das Ausscheiden Österreichs mitzuerleben, platzt auf einmal die Bombe. Vanessa steigt aus. Ist die Aussicht auf 100.000 Euro wirklich abstoßend. Meine Freundinnen und ich sind entsetzt. Durchforsten in der Sekunde alle sozialen Medien auf sachdienliche Hinweise. „Aus persönlichen Gründen kann ich leider nicht an der Finalshow teilnehmen“, erklärt diese inzwischen in einer halbmotivierten Videobotschaft. Liegt bestimmt nicht daran, dass sie die ganze Woche auf Ibiza die neue Fotostrecke für das Modelabel „Oh April“ der Influencerin Carmushka shootet. Muss man schließlich ausnutzen, wenn Simone mal einen Job nicht abräumen konnte und man sich nach Enisas Ausstieg wieder in der Online-Prominenz einer Anderen suhlen kann. Und Simones Krönung aus nächster Nähe mitverfolgen ist halt auch nur halbgeil. Weil also die persönlichen Gründe nicht so persönlich sein dürften, zeigt Prosieben etwas weniger Verständnis und blockiert Vanessa von ihrem ganz ok florierenden Instagram-Account und lässt sogleich eine ganze Riege an Rechtsanwälten antanzen, um den GNTM-Knebelvertrag um ein paar Klauseln zu erweitern.
Und wir? Wir sind entsetzt. Sowas hat es tatsächlich in all den Staffeln noch nicht gegeben. Damit kann man mal echt werben. More Stars, More freiwillige Ausstiege, More Heidi. Was bleibt, sind zahlreiche offene Fragen: Gibt es jetzt gar keinen Spannungsfaktor mehr im Finale? Werden sie es schaffen, die knapp dreistündige Show mit lausigen drei Kandidatinnen zu befüllen? Wird Sayanas Verlober Phresh als Sonderkandidat nachrücken oder lässt man Caroline antreten, weil man sowieso nicht wüsste, ob sie da war oder nicht? Und bekommt Anastasiya endlich ihr Geschenk? Wir werden es erfahren. Nächste Woche, im Finale von „Germany’s Next Topmodel 2019“.
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