Grundgütiger. Was war denn da los? In Anbetracht des gesehenen Materials, halte ich es wie der ORF und möchte mich von den Inhalten des GNTM-Finales offiziell distanzieren. Wiederum kann ich jetzt endlich nachvollziehen, warum Vanessa freiwillig das Handtuch geworfen hat, bevor sie neben Circus-Clowns, Stoffmaskottchen und triefenden Strippern in die Fernseh-Annalen eingeht.
Alles nur ein böser Traum …
Trotz langwieriger mentaler Vorbereitung, dass das Finale unserer Lieblings-Modelshow meist durchaus schräge Momente bereithält, erwischte es mich diesmal eiskalt: Der Auftritt einer dubiosen Plüschtier-Gruppe, eine Stresspustel erzeugende Spontanhochzeit, das Aufleben des Kinder-TV-Formats „1, 2 oder 3“ und die immer wieder im Raum schwebende Frage, was das eigentlich noch mit Modeln zu tun hat. Und auch wenn meine Synapsen noch immer versuchen die Reizüberflutung zu verarbeiten, frage ich mich seitdem: Wofür das Ganze?
Und dann fällt es mir wieder ein. Wir mussten ja ein Topmodel krönen und weil Narren zu Hofe schon immer gern gesehen waren, eröffnete Heidi die fulminante Finalshow ausnahmsweise mit Selbstironie. Machen die das in den bunten US-Talkshows auch immer – muss also in Deutschland mindestens genauso gut ankommen. Nur mit dem Makel, dass es das nicht tut, wenn Knallerfrau Martina Hill zehn Jahre nach Absetzen der Show „Switch Reloaded“ es mit einem Revival ihrer überschaubaren Heidi-Klum-Imitation versucht. Dann doch besser auf Altbewährtes zurückgreifen, denkt sich Heidi, und setzt die Eröffnungszeremonie mit Gesang fort. Dankenswerter Weise nicht mit ihrem eigenen. Sondern mit dem eines ganzen Musical-Casts, durch den sich die drei Finalistinnen erst einmal ihren Weg auf die Bühne bahnen müssen. Heidi lässt sich stattdessen ungestört auf einer schwebenden Schaukel herabgleiten. Sehr bodenständig und wichtig für unser Verständnis. Könnte sonst der Eindruck entstehen, es ginge heute um die Mädchen.
Mehr ist mehr
Während Heidi sonst eher von Übertreibung abrät, haut sie diesmal alles raus, was sie zu bieten hat. Pralle Brüste, zukünftige Ehemänner, einen Playback singenden Star nach dem anderen und prominente Gastjuroren, die man jedoch auch einmal briefen hätte können, bevor sie vor die Kamera geschubst werden. Tyra Banks etwa überbrückt ihr peinliches Willkommensmoment mit einem „Smizing“-Coaching, bei dem sie zwar alle bittet aufzustehen, aber dann einfach in nur in die Kamera schaut. Dann füttert sie den mindestens genauso überrumpelten Leidensgenossen Thomas Gottschalk mit Obst. Der ist überhaupt neben der Spur und knallt seine geheime Mission, zu späterer Stunde plötzlich Eheringe aus dem Ärmel zu ziehen, Heidi gleich zu Beginn vor den Latz. Immer Ärger mit den alten Männern, wusste schon Anastasiya. Der nächste Fail: Taylor Swift, die einfach mal vier Tage zu früh anreist und statt vor zehntausend Live-Gästen ein Privatkonzert vor drei nervlich überstrapazierten Finalistinnen geben darf. Da gibt’s dann aber trotz voller Gage auch nur halb so viel Einsatz, was Taylor dazu veranlasst, wie in der Drag-Queen-Edition einfach ein Playback laufen zu lassen und die Lippen zu bewegen. Hätte man gleich Martina Hill vorschicken können – vielleicht wäre dann genug Geld geblieben, Heidi ein angemessenes Outfit zu besorgen. Zumindest schafft es Taylor, ihre beflügelnden Abschiedsworte selbst zu sprechen. „Nobody is perfect“, muntert sie die monatelang auf Perfektion gedrillten Mädchen auf und ist damit mindestens genauso hilfreich wie Heidi, die bestätigt, dass jeder Mensch Fehler macht. „Aber wenn ihr einen macht, seid ihr draußen“, hätte sie noch hinzufügen können, um wenigstens einen Hauch Authentizität beizubehalten.
A girl is a gun!
Mit dem neu gewonnenen Selbstbewusstsein dürfen die Models nun ihren ersten Walk bestreiten. Den „Girlpower Walk“. Heißt so viel wie in einem mit Parolen bemalten Zirkuszelt über den Laufsteg waten und dann auch noch eine motivierende Emanzipationsrede vom Zaun brechen. „Gott ist eine Frau“, schreit uns etwa Cäcilias Kleid entgegen und gibt uns einen ersten Einblick in die bevorstehende Tiefe dieses Unterfangens. Unterstützung gibt es von den mit Schildern bewaffneten Ex-Konkurrentinnen, die ja auch über die ganze Staffel hinweg Eins-A Frauenzusammenhalt verkörpert haben. „A girl is a gun“, hält eine Kandidatin demonstrativ in die Höhe. Wahrscheinlich Lena, nachdem Jasmin ihr mehrmals eine geballert hat. „We fall for love and the hate is gone“ düdelt indessen realitätsverweigernd die Hintergrundmusik. Dürfte dem DJ entgangen sein, dass sich erst vorgestern vier der Kandidatinnen via Instagram mit Fäkalausdrücken und Schrei-Tiraden bekriegt haben. Simi entscheidet sich dafür, den Slogan „One love“ in die Welt zu tragen. Und erinnert daran, dass es während der gesamten Sendung nur eine Person gab, die ihr Liebe schenkte. Und das war die eigene Mutter beim Familienbesuch. Hashtag #DankeIhrFo****. Sayana zieht in ihrer Ansprache die weisen Worte einer ehemals unterdrückten Frau zur Rate: Anastasia Steele. Sie ruft alle dazu auf, ihre „innere Göttin“ zu leben. Wohin das in „Shades of Grey“ führte, wissen wir ja. Außerdem verrät ihre Glosche von Kleid: Die Zukunft ist weiblich. Ein eindeutiges Indiz, dass Heidi auch künftig keine „Boys & Girls“-Staffel etablieren wird.
Das „K“ als Dauerbrenner
Apropos „Die Zukunft ist weiblich“: Auch der begehrte Personality-Award wird überreicht. Und nein, nicht an Justine. Auch nicht, nachdem sie sich die eh schon kurzen Haare zur Gänze abrasiert
hat. Macht das allein noch immer keine Persönlichkeit aus. Außer vielleicht eine gespaltene, wie im Fall von Britney Spears.
Tatjana ist die Glückliche, die die ehrenvolle Plexiglas-Statue nach Hause nehmen darf. Und das ist echt was wert! Konnte Klaudia mit K im vergangenen Jahr die Auszeichnung einheimsen und siehe
da: Heuer ersetzt sie schon Rebecca Mir als Backstage-Reporterin. Und das, obwohl die sich erst im Kampf Prosieben gegen Vanessa für den Sender stark gemacht hat. Undankbares Pack. Aber
wenigstens durfte sie moderieren, ohne von ihrem lebensgroßen Anfangsbuchstaben verfolgt zu werden. Etwas, das Klaudia mit K bis heute nicht behaupten kann.
Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr wenn das Licht angeht
Beim „Neon Walk“ ist dann Schluss mit Lustig. Nicht etwa weil die Jonas Brothers die nächste Playback-Performance zum Besten geben, sondern weil die Models wie drei kurz vor der Mauser stehende Leucht-Vögel um ihren Einzug in die Top zwei kämpfen müssen. „Alles großer Kinderfasching“, fasst Thomas Gottschalk das Spektakel zusammen, was Heidi dazu zwingt, den nächsten betagten Mann seit Wolfgang Joop beim Finale zum Schweigen bringen zu müssen. Zumindest hat er – anders als Joop – nicht vorab verraten, wer jetzt die Show verlassen muss. Das übernimmt dann aber auch nicht Heidi, sondern ein Dreieck, sofern es vor den Füßen der Finalistinnen zu leuchten beginnt. „Scheiße“, fasst Cäcilia ihr Schicksal zusammen und zieht beleidigt von dannen. Noch immer besser als Jasmin in Staffel elf, die ihren Wettkampf mit den Worten „Endlich vorbei“ beendete.
Und schwupps hat Herbert schon wieder mehr Sendezeit als Caroline
Und dann: Der absolute Tiefpunkt der Show. Zuerst beginnt alles noch recht harmlos mit dem „Love Walk“, bei dem Kaviar Gauche zur Abwechslung ein paar Brautkleider springen lässt. Spätestens als Theresias Verlobter mindestens genauso unvorbereitet wie Namensvetter Thomas Gottschalk aus dem Publikum gefischt wird, hätte der aber besser Reißaus nehmen sollen. „Ich kann es kaum erwarten bis du meine Frau wirst“, ruft er stattdessen ahnungslos seiner Theresia entgegen. Kapitalfehler. Heidi lässt sich das natürlich nicht zweimal sagen – heiratet man höchstens viermal im Leben. „Theresia hat sich gewünscht im Fernsehen zu heiraten“, lässt die Modelmama die Bombe platzen. Ja, genau. Theresia. Die jetzt mehr Sendezeit bekommt als die Drittplatzierte Cäcilia. Aber irgendwie muss man das Fehlen der vierten Finalistin ausbalancieren. Wir bedanken uns also bei Vanessa für die nächsten Minuten des ultimativen Fremdschämens, die selbst eine koreanische Massenhochzeit als intimes Ereignis erscheinen lassen.
Und schon schlüpft Heidi bescheiden in die Rolle der Hohepriesterin, die jetzt das Brautpaar live im Fernsehen vermählen wird. Und das hurtig. Ein Fotoshooting und zwei weitere Sinnlos-Walks müssen wir schließlich auch noch unterbringen, um wieder zu zeigen, dass das hier eigentlich ein Model-Contest ist. Als i-Tüpfelchen bekommt Bräutigam-Thomas ein lebendiges Stoff-Maskottchen in Form des Murmeltiers Herbert zur Seite gestellt. Macht sich das besonders gut auf romantischen Erinnerungsfotos. Herbert darf dann auch noch mit den handlichen Pratzen den Umschlag für die Hochzeitsreise aufmachen und eine wichtige Sache dabei lernen: Nie wieder ein Praktikum bei Prosieben.
Endlich vorbei!
Als dann auch noch eine Horde schweißnasser Stripper die Bühne stürmt, mit denen die zwei verbliebenen Models shooten müssen, habe ich langsam genug von der spektakulären Show. „Jungs, ich möchte einmal so, dann am Rücken und dann von vorne“, gibt Simi das Kommando und erinnert uns an den vorhin erst hochgehaltenen Emanzipationsgrad der Teilnehmerinnen. Fotografiert werden Simi und Sayana dabei von Kristian Schuller, der es schafft, zwei völlig idente Bilder zu fabrizieren. Also muss Simone beim wirklich allerletzten Walk, der unter dem Motto „I bin a wunderschöner Schmetterling“ steht, noch ein achtes und neuntes Mal umknicken, um sich von ihrer Konkurrentin abzuheben. Die Strategie geht auf. Als man meint, die geschundene Simi müsste sich bald den Laufsteg entlang robben, um zu beweisen, wie sehr sie diesen Sieg verdient hat, erlöst Heidi sie und spricht die magischen Worte. „Germany’s Next Topmodel ist Simone!!!!!“
Und auch wir knicken erschöpft zusammen. Freuen uns Dank der Hektik dieses Finales über zwölf weitere Stresspickel im Gesicht und wünschen Simone, dass sie das morgige Palmolive-Shooting im Sitzen absolvieren darf.
16 anstrengende Wochen liegen hinter uns – aber lange müssen wir nicht warten, bis Topmodel-Feeling wieder über den Fernseher flimmert. Und damit meine ich nicht die neue Staffel „Austria’s Next Topmodel“, die scheinbar in den nächsten vierhundert Jahren irgendwo an der Côte d’Azur produziert werden soll, sondern „Die Bachelorette“. Denn die ist keine Geringere, als GNTM-Teilnehmerin Gerda J. Lewis. Und ich freue mich, wenn ihr auch da mit dabei seid. Denn ich bin es bestimmt.
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IlsealiceCo (Samstag, 25 Mai 2019 08:49)
Ich danke dir für diese Zusammefassung , unfassbar was da geboten wurde , Thomas Gottschalk, der völlig neben der Spur war , ist der krank , hat er kein Geld mehr um dort hingehen zu müssen ? Und Tokio Hotel , wenigstens eines ist stimmig, wenn man einen Baby Boy heiratet , dann muss die Show auch im 1-2-3 Format sein wie du so richtig schreibst .
Nur Durch deinen Beitrag hat sich diese Sendung einen Platz im Fernsehen verdient ! Gratuliere ��