Ein Jahr lang haben wir gewartet, nur um uns exakt dieselbe Show wie 365 Tage zuvor reinzuziehen. Einen erfolgreichen Mix aus Musik, Comedy, Akrobatik und Selbstvermarktung – der Long Island Ice Tea des Unterhaltungsfernsehens: in kleiner Dosis gut zu verkraften, nach mehr als dreistündiger Konsumation ein zerstörerischer Cocktail. Und doch bin ich (und meine gesamte zwangsbeglückte Familie) dran geblieben – für euch und für alle Hater da draußen, die mit der talentierten Helene so gar nichts anzufangen wissen. Hier mein Erfahrungsbericht.
Vorhang auf für Helene Fischer
Die Lichter im Saal gehen aus, die Scheinwerfer auf der Bühne an. Helene schwebt auf einer Schaukel durch den Saal. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Ein großer Auftritt will gelernt sein. Besonders wenn man eine ganze Show nur um sich selbst herum konzipiert und dabei nicht großkotzig rüberkommen will. Etwas, das Heidi Klum auch in der vierzehnten Staffel „Germany’s Next Topmodel“ Jahr für Jahr misslingt.
Als kleiner Beweis wie gut es dem unter Helene Fischer schuftenden Personal geht, lässt sie sich am Ende der ersten Nummer blindlings rückwärts fallen und von zwei hinter ihr lauernden Backgroundtänzern auffangen. Zu meiner Verwunderung tun die das auch. Ein Fischer-Ex dürfte also nicht Teil dieses Arrangements sein. Werden potentielle Liebhaber bei Aufkommen jeglicher Gefühlsregung schnurstracks aus der Show manövriert. Zuletzt passiert bei Silbereisen-Nachfolger Thomas Seitel. Sicherheit geht schließlich vor - besonders wenn der aktuelle Partner das eigene Leben verantwortet und jeder leiseste Anfall von Eifersucht eine weitere Ego-Parade im nächsten Jahr kosten könnte.
Mehr Glamour, mehr Stars, mehr Helene
Eine „Helene Fischer Show“ ohne Helene wäre öd. Eine „Helene Fischer Show“ ohne Gastauftritte tatsächlich noch öder. Und doch wundert es mich immer wieder, dass überhaupt noch Stars Helenes
Einladung Folge leisten. Muss ihr der eigene Ruf doch selbst in internationalem Gefilde vorauseilen, jene Sängerin zu sein, die noch berühmtere Sänger in ihre Show lädt, nur um dann selbst zu
deren Playbacks zu singen. Das geht auch kostengünstiger. Aber so düdelt die Schlagerkönigin mit Hit-Giganten wie Nick Carter, Josh Groban und nicht zu vergessen Mark Forster. Der hat aber das
Kleingedruckte auf der Einladung nicht gelesen. Ahnungslos trällert er noch in seiner Solonummer „Jetzt bist du fort und ich komm mir näher …“, aber nix da! Alleiniges Rampenlicht ist hier nicht
– musste schon Eros Ramazotti im Vorjahr schmerzlich verkraften. Kaum eine Strophe gesungen, nähert sich die Helene in großen Schritten, um einem jeden Lied die noch fehlende Helene-Note zu
verleihen und dabei die Melodie so abzuändern, dass du es im Radio keinesfalls wiedererkennen würdest. Womit auch der nachhaltige Werbe-Wert dieser Performance zunichte gemacht wäre. Müssen sich
Songs wie „Herzbeben“ ja auch endlich mal verkaufen in Anbetracht der schwachen Konkurrenz am Markt.
Später dann der Auftritt der britischen Singer-Songwriterin Freya Ridings. „Singt die Helene da jetzt auch mit?“, fragt mein Freund. Putzig. Aber man möge es ihm nachsehen – kommt er Dank mir
erst zum zweiten Mal in den Genuss, diese Show in ihrer vollen Pracht zu verfolgen.
Wenn der Familienbonus flöten geht
Bei einer gefühlt achtstündigen Sendung müssen viele Interessen bedient werden – Action, Romantik, Besinnlichkeit, Sinnlichkeit und nicht zuletzt Nächstenliebe. Also singt Helene mit einer Horde Minderjähriger Disney-Lieder für ein bisschen #Cutenessoverload. Blöd nur, dass die Kleinen gegen die Helene ordentlich abstinken. „Der singt nicht gut“, das Urteil meiner Mutter bei Kind Nummer eins. Als Kind zwei und drei auch nicht besser werden, ein weiteres Gruppenfazit: „Können alle nix.“ Hätte sich die Helene mal besser an den Talenten von „The Voice Kids“ bedient, solange sich Puls 4 noch nicht die Österreich-Rechte gesichert hat. Und siehe da! Davit, Zweitplatzierter der aktuellen Staffel, tritt auf. Ein Lichtblick. Und der Beweis, dass die Helene alles andere als lernresistent ist. Als Dank für die verrichtete Arbeit überreicht Helene den Kindern statt einer Gage lieber ein kleines Geschenk. Als Vorbereitung für die angemessene finanzielle Erwartungshaltung bei zukünftigen Berufspraktika. „Das ist wie bei Pferden und Zucker“, zieht Helene den liebreizenden Vergleich, als sich die Kinder auf die nach Attrappen aussehenden Packerl stürzen. Ausgepackt wird aber bitte hinter der Bühne. Muss die herbe Enttäuschung über den mangelnden Inhalt nicht auch noch auf Band festgehalten werden.
Mutter – Ein scharfer Kritiker
Irgendwann um kurz vor 23 Uhr wagt es mein Freund erstmals hoffnungsvoll die Frage zu stellen, wieviele Stunden wir noch vor uns haben. Jetzt doch noch nicht! Gibt es neben Trapez, Musical und Bauchtanz bestimmt noch andere Talente, die Helene heute noch unter Beweis stellen möchte. Selbstironie zum Beispiel! Ganz wichtig. Also gibt es eine drei Wochen lang zuvor tagtäglich improvisierte „Dance Challenge“ mit Comedian Ralf Schmitz. „Das war entbehrlich“, meine Mutter nach längerer Observation. Eine Einlage mit Martina Hill darf danach auch nicht fehlen. Machen das alle erfolgreichen deutschen Ladies heutzutage. Um die Seriosität der Veranstaltung wieder in Erinnerung zu rufen, braucht es jetzt ein bisschen „Amazing Grace“, dicht gefolgt von Andreas Gabalier. Wo wir uns von der frisch gewonnen Ernsthaftigkeit schneller wieder verabschieden dürfen, als erwartet. Und dann genießt der auch noch das Privileg mehrere Lieder ganz ohne die Helene und einer ihrer charmanten Anmoderationen zu trällern. Nicht so bei Helenes nächstem Gast: „Sie ist in der Schweiz geboren und genauso sieht sie auch aus!“, verlautbart die Schlager-Lady. Löchrig und gelb ist allerdings nicht die richtige Antwort sondern Michelle Hunziker. „Hab gar nicht gewusst, dass die singt!“, meine Mama verwundert. „Sie sollt’s nicht machen“, meine Mama zwei Minuten später. „Kinderlieder! Das geht!“, das finale Fazit. Als dann auch noch Roland „Kermit“ Kaiser die Bühne betritt, um in der Rolle des Bradley Cooper den Welthit „Shallow“ ein bisschen weniger oscarreif zum Besten zu geben, beschließt mein Vater als intellektuellen Ausgleich Tickets für die Wagner-Oper „Lohengrin“ zu kaufen. Für meine Mutter gleich mit. Kann nicht schaden.
Ein Weltstar ist unter uns
Kurz vor dem Grande Finale schlüpft Helene Fischer noch schnell in die Rolle einer Päpstin und stellt vor einem gigantischen Kruzifix ihre Christlichkeit unter Beweis – ein wichtiger Schachzug. Hat man sich mit dieser Afrika- und Maja-Nummer schon zu sehr in fremdes Terrain gewagt und dieser Volks Rock’n’Roller läuft hier bestimmt auch noch irgendwo rum. Außerdem gilt es dem gutbürgerlichen Publikum ein letztes Mal zu beweisen, eine von ihnen und dem Schweinefleisch nicht gänzlich abgeneigt zu sein. Aus Dankbarkeit für ihre toleranten Fans verkündet Helene am Schluss eine besondere Sensation. Ein Weltstar ist unter uns. Er hat mit allen Künstler-Größen schon auf der Bühne gestanden. Elton John, Tom Jones, you name it. Seine Lieder haben Generationen überdauert, haben sich mehr als 150 Millionen Mal verkauft. Er ist der „King of Romance“ und selbst ein Clint-Eastwood-Zitat ist ihm gewidmet. „Bon Jovi?“, mein Freund. Nein, Engelbert!
Ach, Engelbert! Nie gehört. Und ich habe sogar von Larissa Marolts Hausangestellten namens Engelbert gehört, der eine Vogelspinne hat, die ihm einmal entlaufen ist. Sofern das also nicht derselbe ist, muss sich dieser Engelbert seinen Bekanntheitsstatus in meiner Generation noch erarbeiten. Um dem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, werden im Hintergrund Fotos eingeblendet, auf denen Engelbert mit berühmten Persönlichkeiten zu sehen ist. Nach der schieren Anzahl an plastischen Operationen, die der arme Engelbert schon durchlebt hat, könnte das aber auch Gott weiß wer sein. Jeannine Schiller zum Beispiel. Oder Kirk Douglas. Wir werden es nie erfahren. Und sollte er nächstes Jahr wieder dabei sein, liegt die Vermutung nahe, dass wir ihn auch da nicht erkennen werden. „Please release me, let me go“, singt nun Engelbert und spricht uns aus der Seele. Wir verabschieden uns innerlich – von dem stark operierten Unbekannten auf der Bühne und von Helene, die schon wieder Anlauf nimmt, um auch in dieser Nummer mitzusingen.
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Ilse Alice Corazza (Donnerstag, 26 Dezember 2019 23:24)
Ich habe heute in den Zeitungen nach Kommentaren zur gestrigen Show gesucht . Ich wollte einfach die Bestätigung, dass diese Show die schlechteste war, die ich je von ihr gesehen habe. Akrobatik gegen null , dafür Gäste knapp unter Hundert. Ausnahme Gabalier und Forster, letzterer hat sich wie im falschen Film gefühlt. Hoffentlich nutzt sie das kommende Jahr , um wieder die gewohnte Qualität der Helene Fischer Show zu präsentieren. In diesem Sinne, alles Gute für 2020