Grlpwr ist nicht die Maßeinheit eines Holzkohlebräters
Anders als im Vorjahr, bei dem uns der Slogan „More Stars, more Glamour, more Heidi“ schon monatelang vor Beginn der Staffel auf allen Social-Media-Kanälen entgegensprang, ist es heuer etwas ruhiger ums Jahresmotto geworden. Etwas mit der Zahl 15 hätte sich anlässlich des Jubiläums angeboten, aber weder die Herabsetzung des Bewerbungsalters auf 15 Jahre, noch die Verordnung von 15 Kilo Gewichtsverlust konnten überzeugen. Muss das gesellschaftliche Ansehen, nachdem nun Instagram zum Todfeind des positiven Körperbewusstseins auserkoren wurde, noch ein Zeiterl gewahrt werden. Mit 15 Kandidatinnen ins Rennen zu ziehen, ist auch keine Option. Hat das „Austria’s Next Topmodel“ in der 10. Staffel mit 10 Damen versucht - und dem Format will man wirklich nichts nachmachen. Irgendwo habe ich dann aber nach ausgiebiger zweiminütiger Recherche das Motto „Grlpwr“ aufpoppen sehen. Herkömmliche Vokale sind also heuer out. Fragt sich nur, wie Heidi ihre Määädchen ansprechen wird? Inspiration könnte sie aus dem Welthit „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ schöpfen.
Wir wissen also, in diesem Jahr gibt es jede Menge Frauenpower – sehr zum Leidwesen aller sich beim Massencasting verirrten Dragqueens, die womöglich erahnen, dass eine zweite Staffel „Queen of Drags“ mindestens genauso wahrscheinlich ist, wie eine innige Umarmung zwischen Queen Elizabeth und Meghan Markle. Weil der Lebensabschnittspartner im Hause Klum seit vergangenem Jahr auch nicht geändert wurde, trällert in Staffel 15 ausnahmsweise kein Loverboy die Titelmelodie, sondern Selena Gomez, die zugleich das zweite Motto der Sendung hervorkehrt: „Look at her now.“ Und damit ist selbstredend nicht gemeint, die Aufmerksamkeit auf das angehende Topmodel 2020 zu richten, sondern auf das Topmodel, das seit 2020 Jahren alle Rankin-Fotoshootings, die es je gegeben hat, (bis auf das Fahrradhelm-Shooting für das deutsche Bundesverkehrsministerium) ausschließlich für sich beansprucht hat: Heidi Klum.
15 Jahre und kein bisschen weise …
Ähnlich wie bei DSDS ist das mit der Selbstwahrnehmung auch im Casting-Prozess von GNTM so eine Sache. Also hat sich Heidi dazu entschieden, zur Belustigung aller, das Casting öffentlich in München bei Sauwetter abzuhalten. „Ich freue mich auf eine Menge Zuschauer“, jubelt sie. Die Mädchen bestimmt auch. Ist Ablehnung vor großem Publikum immer zu bevorzugen. Unterstützung bekommt Heidi von einem der größten Modedesigner ever – wobei hier definitiv nicht von physikalischer Größe die Rede ist: Julien Macdonald. Und tatsächlich haben wir zumindest den Nachnamen dieses Superstars alle schon einmal gehört – wenn auch in Verbindung mit einer alkoholisierten Fressorgie um vier Uhr morgens am Wiener Schwedenplatz.
Positiv ist, dass die Nachwuchsmodels nach 15 Staffeln des Formats endlich verstanden haben, wie das Modelbusiness so läuft. Johanna zum Beispiel, die sich vor allem auf den luxuriösen Lifestyle eines Model-Neulings freut. Der da wäre Sechser-WGs und Kakerlaken-Kneipen irgendwo in New York City, aber so hat jeder seine eigene Definition von Luxus. Ich persönlich halte den Apfelkuchen, den sie als Curvymodel im Vorstellungsvideo trotz bevorstehender Model-Karriere essen darf, für das größere Lebensgeschenk. Krystyna – eine Dame im knallroten Latexkleid – sieht ihren Wettbewerbs-Vorteil in ihrer besonderen Ausstrahlung. Heidi sieht vor allem das pralle Jessica-Rabbit-Dekolleté, mit dem man bei ihr höchstens zu Halloween punkten kann. Überzeugender ist da schon die junge Dame, die stolz verkündet: „Ich bin einfach ich und das ist sehr selten.“ Da lacht sogar die Klum.
Damit Heidi nicht die Einzige ist, die hier die Fotos verteilt, beschließt Kandidatin Mara der Modelmama im Gegenzug auch einmal ein Bild zu überreichen. Und zwar von sich selbst – ist es immer schön, sich notgedrungen wildfremde Menschen in der eigenen Wohnung aufhängen zu müssen. Freut sich meine Oma auch bei jedem Weihnachtsfest aufs Neue, mit zwanzig weiteren Fotos von den Kindern entfernter Großcousins und Großcousinen bereichert zu werden.
Wie war das mit dem Hochmut nochmal?
Die 16-jährige Anastasija wird gemeinsam mit Papa und Mama der deutschen Fernsehwelt vorgestellt. Verfolgt sie, gemeinsam mit ihren Eltern, GNTM schon seit ihrem vierten Geburtstag. „Schau, das Model kann ja gar nicht laufen“, soll sie dabei mehrmals gesagt haben, verrät ihr hilfreicher Papa. Nichtsahnend, dass seine Tochter die erste sein wird, die es bei der großen Fashionshow hinlegen wird.
Ebenfalls am Start: Androgyn-Model Marcia, die aber nur da ist, weil man ihr sagte, dass hier irgendein Casting stattfindet. GNTM findet sie eigentlich blöd, Small-Talk und Interviews im Grunde auch und andere Menschen sowieso. Als sie dann merkt, nicht einmal für die zwei verpatzten Tage bezahlt zu werden, ist bei ihr das Fass voll: „Ich bin zu alt für den Scheiß“, keppelt sie und zieht von dannen. Selbiges denkt sich die Klum, die Marcia laut Beweisstück A (= ein leerer Zettel) sowieso nicht weiter gelassen hätte. Wollen wir dem mal Glauben schenken. Generell gilt aber: Eine Heidi Klum weist man nicht ab. Außer man heißt Karl Lagerfeld und kann das Recht auf Totenruhe für sich beanspruchen.
Bei der Fashionshow, die von Minimundus-Julien höchstpersönlich ausgerichtet wird, dürfen schließlich 38 Mädchen um ihr Modelleben laufen. „They will either win or fail“, prophezeit das Designer-Orakel, wobei für 13 Mädchen Zweiteres der Fall sein wird. Kandidatin Lucy sieht es gelassen und ist nur bemüht, dem sogenannten „Goldpatzen“ von Kleid gerecht zu werden. Heidi Klum wiederum ist bemüht, ihrem Ruf als Deutsche-Kost-Liebhaberin alle Ehre zu machen und schiebt sich in einem Zwischenfilmchen Weißwurst und Gulasch rein. Wäre das auch erledigt.
Curvymodel Johanna bekommt statt halsbrecherischen Sandaletten komfortable Boots für die Fashionshow ausgehändigt. Anders als erwartet, ist die aber so gar nicht erfreut über das flache Schuhwerk
und weint. Logisch. „Models are not the most intelligent creatures“, bringt es Julien später treffsicher auf den Punkt. High-Heel-Trägerin Nina-Sue kann das bestätigen – haben ihre Knöchel, kaum
dass sie den Laufstieg betreten hat, nämlich plötzlich das dringende Bedürfnis, einen 90-Grad-Winkel einzunehmen und diesen bis zum bitteren Ende beizubehalten. Das Resultat ist ein schmerzhafter
Anblick und ein künftiger Schuh-Ladenhüter im Macdonald-Onlineshop. Nina-Sue ist sich sicher: Das lag an den Schuhen. Oder an der Bodybutter, die sie sich vorher auf die Füße geschmiert hat. Man
weiß es nicht.
Das Demokratieverständnis der Heidi Klum
Weil Heidi immer viel Wert auf die Meinung anderer legt, lässt sie zur Entscheidung noch einen zweiten Star einfliegen. Milla Jovovich! Ich bin begeistert, jedoch werde ich das Gefühl nicht los, damit die Einzige zu sein. Ist „Resident Evil“ selbst für mich schon fast in der Kategorie Historienfilm angekommen – da kann man wohl kaum von Mädchen verlangen, die die erste Staffel GNTM höchstens als halbreifer Fötus verfolgt haben, ein Supermodel der Jahrtausendwende wiederzuerkennen. Glaubwürdiger wird es dann auch nicht, als ausgerechnet das 16-jährige Theresia-Double dazu angeleiert wird, eine Lobeshymne auf den Star zu singen. Mehr als „Ich war so, häh? Milla ist hier?“, kam dann aber auch nicht dabei raus.
Kaum angekommen, ruft der Weltstar Heidi wieder ins Gewissen, warum sie sich auch heuer berechtigterweise dazu entschieden hat, auf ahnungslose Fixbestandteile in ihrer Jury zu verzichten. „You’re gonna be fine“, beruhigt Milla nämlich zur Begrüßung die eingeschüchterten Mädchen. Da muss Heidi eingreifen und stellt klar „No, you’re not gonna be fine!“ Ist das hier immer noch ein Wettbewerb! Da wird Hass und Angst gesät, auch wenn Marcia diesen Part künftig nicht übernehmen wird können.
Trotz des fatalen Anfängerfehlers verzeiht Heidi ihrer US-amerikanischen Gastjurorin und bindet sie in den Beratschlagungsprozess während der Fashionshow konstruktiv ein. Heißt so viel wie, dass sie sich plötzlich dazu entscheidet, ausschließlich Selbstgespräche auf Deutsch zu führen, aber weiterhin dafür offen ist, bestätigende Gesten ihrer Sitznachbarin Milla anzuerkennen. „It really can’t get worse“, ergreift Milla dann doch einmal mutig das Wort, als Nina-Sue gerade ihren Folterwalk zum Besten gibt. Aber auch da hat sich die liebe Milla getäuscht. Denn wenn GNTM eines kann, dann ist es, mit jeder Folge schlimmer werden. Und wir freuen uns darauf.
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