„Es ist jedes Jahr dasselbe“, warnt uns Heidi höflich vor und selbstverständlich hat sie damit recht. Nur heuer nicht. Denn zum ersten Mal verläuft das Umstyling überraschend harmonisch und ohne
große Gegenwehr – nicht einmal die wahrlich Verschandelten wagen ihre Stimme gegen Heidis Horde überteuerter Stylisten zu erheben (wobei das in manchen Fällen durchaus ratsam gewesen wäre). Aber
so ist das Spiel: Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man. Und manchmal ist man 30 Jahre zu spät plötzlich stolzer Träger eines Vokuhilas.
Warum die Rosi-Oma Lorenzo, Karen und Co. in den Schatten stellt
In Woche fünf geht es nach Los Angeles! Die Mädels freuen sich. Endlich ein Lotterleben führen à la Heidi Klum. Nur kredenzt die heuer statt einer Modelvilla in den Hollywood Hills, ein
Urban-Loft im LA-Ghetto. Während sich bei den Models die Begeisterung in Grenzen hält, wäre ich persönlich dankbar – sind mir die Zeiten noch zu präsent, als in den Modelvillen von jeder Wand ein
Selbstbildnis Heidis prangte. Dann lieber Stockbetten und freundlich grüßende Drogendealer vor der Tür. Vielleicht können die einem ja Nutella besorgen, wenn es bei Heidi mal wieder nur
Hühnersuppe zum Abendessen gibt.
Der ersten Schocknachricht folgt die zweite – es geht zum Umstyling oder zum „Schnippidischnapp schnippidischnappi“, wie Heidi es gerne nennt. „Ihr wollt doch einen anderen Look haben, oder?“,
versichert sie sich, als befänden sich die Mädchen auf demokratischem Boden. An dieser Stelle wäre es für Lucy und Bianca übrigens der ideale Zeitpunkt gewesen, auf beiden Beinen kehrt zu
machen.
Da die Models selbstverständlich keinerlei Mitspracherecht haben, soll der Lebenslauf der Stylisten für Beruhigung sorgen. Haben die nämlich schon mit allen großen Stars dieser Welt gearbeitet!
Mit Britney Spears zum Beispiel – und die sah wirklich immer top aus. Vor allem, als man ihr einen Rasierapparat aushändigte und hoffte, es könnte ja was Gutes bei rauskommen. Ein klarer Fall von
fahrlässiger Frisör-Aufsicht. Stylistin Karen würde das nicht passieren. Sie arbeitet zwar nicht für Beyoncé, Mariah und Co. ist aber dafür schon 40 Jahre in der Branche. Hätte ich gewusst, dass
ein hohes Dienstalter Argument genug ist, um bei GNTM seine Künste unter Beweis zu stellen, hätte ich meine 92-jährige Oma Rosi auch hinschicken können – die schneidet ihrer Nachbarin Frau Udel
bis heute die Spitzen und da hat sich im Nachhinein noch keiner beschwert.
Sei vorsichtig, was du dir wünschst
Glückskind Anastasya darf als Erste ran. Da sie nicht dunkelhäutig ist, verschont sie Heidi zumindest damit, ihr einen Rasierer an den Schädel zu halten (dieses Privileg dürfen sich dann
Cassandra, Sarah und Maureen ausschnapsen), jedoch schützt sie das nicht davor, den gefürchteten Bubi-Schnitt verpasst zu bekommen. Als kleinen Anreiz schlägt die Klum vor, Nastyas Haare an
Bedürftige weiterzugeben. Dass sich Heidis Mop auch ideal für eine Spende eignen würde, wagt jedoch niemand zu äußern. „Oh Gott, das wird so ungewohnt, Nastya“, beruhigt Mareike ihre Freundin.
„Ich liebe mutige Mädchen, die sich auch mal trauen was anderes auszuprobieren“, lobt Heidi. Beweist sie das schließlich auch immer wieder aufs Neue, wenn sie von mittellang zu ultralang und von
hellblond zu aschblond switcht. Crazy Heidi.
Julia, die aufgrund einer Autoimmunerkrankung keine Körperbehaarung hat, bekommt von Heidi eine Perücke ausgesucht. „Optionen, Optionen, Optionen, Optionen!“ schwärmt Heidi und schafft es
wirklich, aus all diesen Optionen, die geschmackloseste auszuwählen. „Wir lieben dich so wie du bist, aber es ist auch mal schön, etwas anderes zu machen“, bestärkt Heidi ihre Auswahl. Sollte
Julia also mal Lust bekommen, sich wie einer der Darsteller aus „White Chicks“ zu verkleiden, hat sie jetzt die Gelegenheit dazu.
Die blonde Tamara darf bleiben, wie sie ist. Auch wenn man ihr zunächst einen schwarz gefärbten Pixie-Cut androht. „Ein bisschen Spaß muss sein“, verteidigt Heidi ihren gelungenen Joke. „Das wäre
ja schon Körperverletzung gewesen“ ist wiederum Tamaras Auffassung des Späßchens. Apropos Körperverletzung: Bianca hat die Ehre, eine Zeitreise in die 80er Jahre zu machen und bekommt als
Gastgeschenk die Trendfrisur Vokuhila verpasst. Auch bekannt als der Sechsfach-Jackpot des GNTM-Umstylings. Der Vorteil soll darin liegen, dass ihr Gesicht jetzt viel besser zur Geltung kommt.
Und es stimmt – ist mir die kleine Knubbelnase zuvor nämlich nicht so drastisch aufgefallen.
Auch bei Lucy ist das Endergebnis … sagen wir einmal … speziell. Wobei ich zugeben muss: sie war doch ihres eigenen Glückes Schmied. So gibt sie zuerst zu Protokoll blond bleiben zu wollen.
„Ansonsten kann eigentlich alles kommen“, meint sie (und sollte künftig vorsichtiger mit dem Verteilen von Freifahrtscheinen umgehen). „Ich hatte schon kurz, ich hatte lang, aber wenn ich’s mir
aussuchen kann, nehm ich lang.“ Dumm nur, dass Wunschfee Heidi ein besonderes Faible für Transgender-Model Lucy hat und das erste Mal in der Geschichte des Umstylings dieser Bitte nachgeht. Nur
hapert es irgendwie an der Umsetzung. Außer Gelbstich und klar ersichtliche Übergänge zwischen Echthaar und Extensions liegen gerade im Trend und ich habe es einfach nur nicht mitbekommen, weil
ich es bevorzuge zu Frisören zu gehen, bei denen ich im Nachhinein nicht als Clown Gogo durch die Straßen ziehen kann.
Auch in Österreich gibt’s schöne Töchter
Beim Sedcard-Shooting mit Christian Anwander sticht dem Fotografen gleich die schöne, dunkelhäutige Maureen ins Auge. „Maureen, wo bist du her?“, fragt er, in freudiger Erwartung jetzt irgendwas
auf Afrikaans zu hören. „Österreich, Wien.“ „Ah Wien, ok, alles klar.“ Hat er bestimmt nur gefragt, um zu wissen, ob er es hier mit einer Landsfrau zu tun hat. „Aber eine ganz eine Hübsche“,
versucht Heidi die Situation zu retten. Als wäre das in Österreich ein besonderer Ausnahmefall.
Neben einem Foto müssen die Models auch ein Vorstellungsvideo shooten. Cassandra gibt alles: „Das niedliche Mädchen von nebenan mit den braunen Rehaugen kämpft für ihre Träume und kann auch
anders …“ Heidi kann aber auch anders und fängt während Cassandras Ansprache an zu schnarchen. Das könnte man natürlich als gemein missverstehen. Damit das Nachwuchsmodel aber aus seinen Fehlern
lernen kann, erklärt sich Heidi. „Das war wie so ein Gedicht aufgesagt in der Schule“, was ja nicht unbedingt was Schlimmes heißen muss. Wäre da nicht Heidi: „ … das war ein langweiliges
Gedicht.“
Karma is a bitch
Für die Elimination geht es mitten auf den Venice Beach. „Den Laufsteg haben wir so gebaut, dass ganz viele Menschen zuschauen können“, freut sich Heidi. In weiser Voraussicht, dass dort auch ein Wollteppich liegt, in dem die Models super stecken bleiben können. Dem nicht genug – zu Beginn des Catwalks wartet auch noch eine sich drehende Plattform. „Eine super Gelegenheit sich den Zuschauern zu präsentieren.“ Oder auch eine super Gelegenheit qualvoll zu stürzen und sich die Nase blutig zu schlagen. Sind dann wenigstens genug Leute da, um einem aufzuhelfen. Und wenn es etwas wie Karma geben sollte, dann schlägt es jetzt mit voller Härte zu. Denn Heidi hat sich einen Parasiten eingefangen und muss bis auf Weiteres das Bett hüten. „Ich mach die Entscheidung“, freut sich Fotograf Christian Anwander und ist tatsächlich der Auffassung, dass ihm Heidi die volle Entscheidungsgewalt zuspricht. Wir lernen: Das tut sie natürlich nicht. Die Entscheidung fällt erst nächste Woche. Dafür lernen wir noch etwas: Christian ist ein unterhaltsamer Kritiker. Und: Es gibt ein Mädchen namens Vivian.
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