Weniger Bitch, mehr Sonnenblume
Eine ereignisreiche Woche liegt vor den Models, denn das erste Casting und das erste ernstzunehmende Catwalk-Coaching (also ohne Heidi) stehen auf dem Programm. Für drei Models – Lijana, Nastya und Jacky – geht es für nicht einmal 24 Stunden von Los Angeles nach München. Leben wir gottseidank nicht in Zeiten einer katastrophalen Klimakrise. Da kann man schon mal mit CO2 um sich werfen wie Naomi Campbell mit Mobiltelefonen. Außerdem ist Amerika bekannt dafür über nicht genügend Modeljobs zu verfügen oder warum sollten sich Menschen sonst freiwillig für Formate wie „Love is blind“ anmelden?
Beim begehrten InStyle-Casting müssen sich die Mädchen nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera als Fotografinnen behaupten. Chefredakteurin Kerstin Wenig ist es nämlich ganz wichtig, dass die Models beides beherrschen. Weshalb auch die den Job bekommt, die nicht mal den Auslöser findet. Andererseits kann man bei der heranwachsenden Influencer-Generation von Glück reden, wenn sie nicht jeden Gegenstand, den sie in die Hand gedrückt bekommen, als gratis PR-Sample betrachten.
Auch die in Los Angeles kasernierten müssen sich beruflich weiterbilden und erhalten ein professionelles Catwalk-Coaching von einem Mann namens Micky Kurz. Der ist zwar eine Legende, eine Namensänderung war aber finanziell noch nicht drin. Maribel freut sich und wünscht sich nach der scharfen Kritik in der vergangenen Woche, mal wieder Lob von einem Branchen-Profi zu erfahren. Sollte sie darunter verstehen, als Holzfäller bezeichnet zu werden, klappt das schon mal einwandfrei. Und ist noch immer freundlicher als der Ratschlag an Tamara, weniger die Bitch, dafür mehr die Sonnenblume auf dem Laufsteg raushängen zu lassen.
Es rappelt im Karton …
Damit Heidi nicht die einzige bleibt, die mit Parasit durch die Gegend zieht, warten beim Shooting ganz besondere Accessoires auf die Models: Von Arachniden bis zu Insekten ist alles vertreten. Zwar ist die Häufigkeit, in der mir Kellerasseln und Kakerlaken in Modemagazinen sonst entgegenspringen eher überschaubar, aber jedes Training, das einen auf eine etwaige Teilnahme beim Dschungelcamp vorbereitet, ist ein gutes Training.
Nach Schlaf-Entzug, Nahrungsmittel-Mangel und dem Verlust von Privatsphäre, ist die Freude über weitere Dschungel-Coachings vor allem bei den fünf Wackel-Models groß. „Ich bin im Shoot-Out“, beichtet etwa Maribel ihrer Großmutter am Telefon. „Cool!“ entgegnet die braverweise, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, wovon ihre Enkelin jetzt schon wieder spricht. Andererseits: Zeig mir bitte eine Großmutter, die beim Ausdruck „Shoot out“ schockiert die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und sofort weiß, dass das Heidis Fashion-Fibel für Russisches Roulette ist.
Doch bevor es zu meinem persönlichen Shooting-Albtraum geht, gilt es, die Models von Kopf bis Fuß in einen Kokon einzubandagieren. Lästig, aber für das Foto ein notwendiges Übel. Handelt es sich nämlich um ein Beauty-Shooting, bei dem ausschließlich das Gesicht abgelichtet wird. Und das geht bekanntlich nur, wenn das Outfit bis zum linken Zeh so knalleng sitzt, dass die Models ausschließlich in einer Schubkarre waagrecht liegend ans Set gelangen.
Lucy ist als Erste dran und sieht laut Fotograf ein bisschen angespannt aus. Versteh ich jetzt nicht. Hat man ihr zuvor erklärt, dass die Vogelspinne in ihrem Gesicht nicht tödlich ist – wovor also noch Angst haben? Da ist Model-Küken Julia gechillter. Sie fürchtet sich nicht vor Spinnen – sind ja auch nur Lebewesen. Wunderbar. Dann wird diese Einstellung ja auch für den schwarzen Skorpion gelten, den man ihr gleich aufs Auge picken wird. Da schaut dann die Welt aber doch wieder ganz anders aus, woraus Julia eine wichtige Lektion zieht: Nämlich dem Kamerateam künftig nicht vor sondern nach dem Shooting zu offenbaren, dass die geplante Aufgabenstellung keine Herausforderung darstellt.
Die Spreu vom Weizen trennen
Lijana kommt gut gelaunt ans Set. Ist Heidi bestimmt stolz auf sie, in die engere Auswahl beim InStyle-Casting gekommen zu sein. Und das ist sie auch, nur drückt sie Stolz lieber auf ihre eigene, individuelle Art aus: mit Kritik. Also will die Modelmama vorrangig wissen, warum Lijana nicht genommen wurde, jetzt wo man ihr schon ein Flugticket sponsern hat dürfen. Zeit und Geld investiert Heidi dann lieber in Tattoomodel Mareike, von der sie heute eine andere Seite sehen möchte. Also ordnet sie an, die gesamten Körperverzierungen ihres Schützlings stundenlang zu überschminken. Und sieht am Ende trotzdem nicht davon ab, nur Mareikes Gesicht fotografieren zu lassen. Ist ihr gutes Recht. Würde mein Chef allerdings so achtsam mit meiner Zeit umgehen, wie Heidi mit der ihrer Make-Up-Artisten, würde man mich spätestens am nächsten Morgen „Das ist Sparta!“ schreiend in sein Büro einmarschieren sehen.
Bevor Heidi sich also auch noch eine Verwarnung des GNTM-Betriebsrats einfängt, ist es wieder an der Zeit, sich auf legitimierte Opfer dieser Sendung zu fokussieren: die Wackel-Kandidatinnen des GNTM-Shoot-Outs. Tamara, die sich den Tipp mit der Sonnenblume zu Herzen genommen hat, begrüßt die Modelmama freudestrahlend. Ein No Go – also ruft ihr Heidi ins Gedächtnis, dass es ihr jetzt an den Kragen geht. Ist Nervosität immer förderlich im Umgang mit giftigen Tieren. Gehen müssen dann aber zwei andere: Cassandra und Marie. „Danke“, presst Marie schluchzend heraus. „Gern geschehen“, antwortet Heidi und erinnert mich daran, dass der Klum’sche Gefallen auch in Staffel 15 ein entbehrliches Gut geblieben ist.
Dieser Weg ist steinig und schwer …
Für den Finalwalk kündigt sich ein weiterer Superstar der Mode-Industrie an. Peter Dundas! Pinar startet gleich los, um ein Hohelied auf jenen Mann zu singen, von dem sie vor dem eindringlichen Briefing der Redaktion noch nie zuvor in ihrem Leben gehört hatte. Sich dessen Lebenslauf zu merken, ist allerdings nur die geringste Hürde des heutigen Tages. Denn nicht nur, dass der Laufsteg im Zick-Zack verläuft, er ist auch gepflastert mit Popcorn, Glassplittern und Kieselsteinen. Daily business für jede Mutter, die nachts einen Gang auf die Toilette wagt. Auch für Vierfach-Mama Heidi ist das ein Kinderspiel – vor allem nachdem sie drei Stunden lang ohne Publikum üben durfte, darauf zu laufen. Dieses Privileg haben Pinar – trotz Power, Personality und Positive Vibes – und Rasta-Sarah nicht. Sie fliegen nicht nur mehrmals auf die Schnauze, sondern auch nach Hause. Womit wir bei 14 Teilnehmerinnen wären, die in den nächsten neun Wochen um die Topmodel-Krone kämpfen.
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