Schande über mein Haupt. Ich habe mich von Fake News blenden lassen! Endlich kann ich mich in den Ärger Donald Trumps hineinversetzen, wenn auch ich davon absehe, der Menschheit zu raten, sich Desinfektionsmittel zu injizieren. Es war also hanebüchen, als der Prosieben-Tweet über die vermeintlich unabsichtliche Bekanntgabe der Finalistinnen viral ging – stehen nämlich vier völlig andere Mädchen im Finale! Und so verbleibe ich in tiefstem Schock – darüber, dass mir Lijana nach einem „red“-Beitrag doch nicht mehr so unsympathisch ist und darüber, das Finale nächste Woche nicht nur ohne Nasty und Tamara zu erleben, sondern auch ohne Heidi Klum!
Mogelmotte Heidi
Halbfinale bei GNTM (diesmal wirklich). Heidi klärt auf, worauf es in dieser entscheidenden Episode ankommt: „Die Mädchen müssen mir zeigen, was sie die letzten 15 Wochen so gelernt haben.“ Zunächst einmal sich niemals von Heidi helfen zu lassen und auch bestenfalls schnell kehrt zu machen, wenn die wieder die Arme auseinanderreißt, um lauthals das Wort „Überraschung“ zu schreien. Vor allem wenn selbst das nach Lavendel miefende Betthupferl, das mir einst meine geliebte Tante schenkte, mehr Freude in mir entfachte, als Heidis Sammelsurium dubioser Überraschungen in den letzten 15 Jahren gesamt. Und so ist Heidis surprise of the week, ihre an Kollateralschaden gewöhnte Mädchen zum Narren gehalten zu haben. Wer liebt es nicht? Befinden sich die verbliebenen Sechs nämlich noch immer in dem Irrglauben, sich ihren Platz im Finale bereits erkämpft zu haben. Wobei man spätestens ab dem Zeitpunkt, als Heidi höchstpersönlich anbietet, die Models im Privat-PKW zum Flughafen zu kutschieren, durchaus hätte Verdacht schöpfen können. „Ich bin ja gerne ein bisschen gemein“, gesteht Happy-Heidi und erntet dabei keinen Widerspruch.
Und so finden sich die Models nicht am Flughafen von Los Angeles wieder, sondern am Shooting-Set für eine neue Entscheidungs-Woche. Weil die Luft in diesem Stadium des Wettbewerbs ohnehin schon
sehr dünn ist, geht es zur Abwechslung hoch hinaus: auf einen Kran! Close-Up-Fotos, auf denen man die Models tatsächlich erkennen könnte, sind nämlich in einer Modelmappe längst nicht mehr
gefragt. Außerdem wichtig: Nicht das schönste Foto abzuliefern, sondern einmal – mehr oder weniger elegant – in der schwindelerregenden Höhe von 15 Metern über einen 30 Centimeter breiten Balken
hin- und herspazieren können. Könnte ja sein, dass ein Designer den Drahtseilakt des französischen Seiltänzers Philippe Petit, der ungesichert zwischen den Türmen des World Trade Centers
balancierte, als Inspirationsquelle für seine nächste Show hernimmt. Gut, dass man in diesem durchaus wahrscheinlichen Fall jetzt also vorbereitet ist.
Während alle anderen sowohl auf der linken, als auch auf der rechten Seite des Krans wie befohlen strammstehen, ist Tamara enttäuscht von ihrer Leistung – hat sie sich aufgrund ihrer Höhenangst
dagegen entschieden, bis ans andere Ende des Balkens zu torkeln, nur um dann dort genauso wie auf der anderen Seite wie bestellt und nicht abgeholt zu posieren. „Man kann seinen inneren
Schweinehund nicht überwinden“, zeigt sich Heidi glücklicherweise verständnisvoll und hält sich nicht zurück sogleich auch ihrem eigenen zu unterliegen: „Du weißt was das heißt, Tamara. Ich muss
mich jetzt leider von dir verabschieden.“
Während ich dem ganzen noch keine Beachtung schenke – rechne ich klarerweise wieder mit einer von Heidis Überraschungen, die Tamara aufklärt, doch noch dabei zu sein – steigt Tamara winkend ins
Taxi und fährt von dannen. Erst da fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Heidi wird die Models also doch nicht selbst, wie stolz verkündet, in einer ihrer Bonding-Sessions auf den Flughafen
bringen. Und der Prosieben-Tweet, der Tamara als Finalistin verkündete, der war eine brutale Lüge. Oder auch eine von Heidis Überraschungen. Beides sehr wahrscheinlich.
Achtung! Real Deep Talk
Doch bevor sich die Models Heidis letztem Urteil beim Entscheidungswalk stellen, lädt Quizmasterin Klum zu einem spaßigen Ratespiel, dessen Höhepunkt die allseits beliebte Frage ist, wer es nicht verdient hat, ins Finale zu kommen. Hat ein bisschen persönliche Kränkung noch nie geschadet, um sich seinen Weg bis ganz nach oben zu erkämpfen. Außerdem hört man von engen Freundinnen doch am liebsten, wenn sie einen im Wettbewerb nicht für voll nehmen. Also fahren die fünf Mädchen ungewollt ihre Ellbogen aus, zeigen mit dem Finger aufeinander, überwinden eine persönliche Grenze, die fernab von einem Sprung vom Fünf-Meter-Brett ist.
Zurück bleibt ein beklemmendes Gefühl der Scham, dem die Models in all den Staffeln noch nicht gelernt haben zu entgegnen. So könnten sie, bevor sie einen anderen Menschen unfreiwillig an den Pranger stellen, es einfach mit einem selbstbewussten „Nein“ versuchen. „Nein“ zu dem Zwang sich außerhalb der persönlichen, moralischen Komfortzone bewegen zu müssen. „Nein“ zu Heidi, die auch akzeptieren muss, dass nicht jeder Fall von mangelnder Hörigkeit mit einem Rauswurf sanktioniert werden kann. Vor allem dann, wenn die Prosieben-Kollegen Joko und Klaas mit ihrem TV-Ereignis „Männerwelten“ gerade Pionierarbeit darin leisten, Frauen davor zu bewahren, etwas gegen den freien Willen aufgedrängt zu bekommen. Aber ist ja dann in der Corona-Quarantäne noch genug Zeit für Zusammenhalt, wenn schon GNTM keinen Platz dafür einräumt.
Am Abend berichtet Nasty ihrem Papa von dem Vorfall: „Wir haben heute mit Heidi geredet und dann mussten wir sagen, wen wir von uns nicht im Finale sehen!“, erzählt sie aufgewühlt. „Ohhjeee“, antwortet der und weiß Bescheid. Auf die Info, dass der Name der eigenen Tochter sogar dreimal gefallen ist, bleibt ihm nur ein herzliches Lachen und das Fazit „Schmarrn“, um dem Klum’schen Kasperletheater ein würdiges Ende zu bereiten. Und nach dem einen Papa, der uns um vier Uhr morgens halbbetäubt in Streifenbettwäsche bezirzte, dem anderen, der sich nicht nehmen ließ, mit Schnitzel und Pommes in Los Angeles einzumarschieren und diesem Exemplar, wissen wir nun eines garantiert: Papas sind und bleiben die Besten!
Shortbread Julien
Bei der finalen Entscheidung ist ein bekanntes – oder auch markantes – Gesicht zurück bei GNTM, das sich vermutlich auch in den nächsten 30 Jahren nicht mehr großartig verändern wird (außer es lernt sich selbst zu konservieren). Andererseits ist es schön zu sehen, dass sich Julien Macdonald kurz vor der Heim-Quarantäne noch schnell ein paar Extraschüsse Botox hat reinpfeifen lassen, um zu jeder Tages- und Nachtzeit mit hellwachem Blick in den inflationär angestiegenen Telkos sitzen zu können. Ein weiterer Vorteil: die Möglichkeit selbst bei überbordendem Grant gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Da Julien bei seinem zweiten Besuch ein kleiner Pups drücken dürfte, keineswegs eine unpraktische Sache. „Wow, you are very short! How short are you?“, begrüßt er etwa Maureen, die das Designer-Däumelinchen wohl gerne selbiges fragen würde. „Ich hoffe, dass er mir Verbesserungstipps für mich und meinen Lebensweg mitgibt“, freut sich Jacky, die jedoch nur geraten bekommt, ihren Lebensweg künftig mit etwas weniger Aggressivität in der Gangart zu bewältigen.
Gayonardo DiCaprio
Dann doch lieber von Toni Garrn etwas abschauen, die es auch 2020 wieder nur mit einer Statisten-Rolle zu GNTM geschafft hat. „Wer ist das?“, fragt mein Papa, der ab und an ein paar Wortfetzen aufschnappt und ohne ein einziges Mal in den Fernseher zu schauen, trotzdem up-to-date sein möchte. „Ein Supermodel … war mit Leonardo Di Caprio zusammen“, erkläre ich, woraufhin mein Vater sichtlich überrascht ist, dass Leonardo auch Männer datet. Macht sich vielleicht doch bezahlt, einmal einen Blick auf den Bildschirm zu wagen. Verpassen tut er aber an dieser Stelle nicht mehr viel – bis auf die finale Entscheidung natürlich, wer denn nun Heidis diesjährige Finalistinnen sind. Und so gratulieren wir Sarah P., Maureen, Lijana und Jacky ganz herzlich und müssen uns eingestehen: Diese Konstellation hätte nicht einmal Gerda Rogers gesehen.
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