Ich revidiere alles! Nach nur zwei Episoden bin auch ich mit dem Melissa-Fieber infiziert und kann der diesjährigen „Bachelorette“ weit mehr abgewinnen, als anfangs erwartet. Überhaupt bin ich überraschend versöhnlich gestimmt – finde die Männervilla überaus geschmackvoll eingerichtet (nach vier Wochen Augenkrebs-Gefahr des Love-Island-Anwesens allerdings auch nicht verwunderlich) und auch die Männer, die dort hausen, mit wenigen Ausnahmen gar nicht so daneben. Blenden lässt sich unsere Bachelorette aber nicht: Da es relativ unwahrscheinlich ist, dass die Herren der Schöpfung auch in Deutschland einigermaßen ähnlich anspruchsvoll residieren, bittet Melissa gleich zu Beginn der Episode um die Offenlegung der gegenwärtigen Wohnsituation. Kann man nie wissen, was einem bei den ganzen Fitness- und Self-Made-Marketing-Experten für eine Baracke von Junggesellenwohnung entgegenspringt. „Ich habe eine Untermieterin“, sagt etwa der eine Mitt-Dreißiger, der es mit beeindruckender Raffinesse schafft, das Wort „Wohngemeinschaft“ zu umgehen. Während ich noch damit hadere, ob ein WG-Leben über 25 ein zumutbarer Graus ist, toppt Emre dieses Horror-Szenario mit dem Geständnis bei seiner Mutter zu wohnen. Besorgniserregender ist dann schließlich nur Daniel, der seine Anschrift zunächst mit den Worten „Ich bin ein Reisender“ beschreibt und mir das Bild der ersten Bachelorette, die nach Drehschluss mit dem fahrenden Volk um die Länder zieht, in den Kopf setzt. Zu Melissas „Erleichterung“ ergänzt Daniel, dass er eigentlich bei seiner Großmutter wohnt. Muss sich bei seiner Reisetätigkeit also um Kaffeefahrten handeln.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Diese Immobilien-Eckdaten geklärt, gilt es jetzt beim ersten Gruppendate die Verlässlichkeit der Männer auf die Probe zu stellen. Und wo ginge das besser als beim Canyoning? „Mir ist es ganz wichtig, dass man in einer Beziehung aufeinander Acht gibt“, zeigt sich Melissa optimistisch. Dass dieser Ausflug für eine Person mit einem Schädel-Hirn-Trauma enden wird, sollte ihr jedoch zu denken geben. Oder zumindest die Produktion die Anwendung dieses Vertrauen-Testverfahrens hinterfragen lassen. Denn während Rouven im eiskalten „Todes-Penis-Wasser“ sein Glied nicht mehr mit freiem Auge erkennen kann, löst der Frischekick in Italiener Angelo einen solchen Übermut aus, dass er mitten in der Strömung seine Balance-Künste unter Beweis stellt. Und in dem Wildwasser-Geröll nicht nur sich selbst fast erschlägt, sondern Melissa gleich mit. Dass es aber vielleicht an der Zeit ist, sich von der italienischen Männer-Fraktion eine kleine Pause zu gönnen, sollte selbst Frau Unbelehrbar in diesem Moment klar geworden sein.
Für ihre Fahrt mit der griechischen Liliputbahn entscheidet sich Melissa daher später für ein paar weniger heißblütige Kandidaten – hat ihre Rechnung aber ohne Türken-Casanova Emre gemacht. Der fühlt sich nämlich bemüßigt, der Bachelorette in jedem unpassenden Moment einen Schmatzer aufzudrücken. Wird die Produktion dieses Verkehrsmittel nicht umsonst als „Love Train“ betitelt haben. Melissa, die selbst bei „Love Island“, wo ein Großteil der Sendeminuten vorzugsweise mit Geschlechtsverkehr bestückt wird, jedes Mal in Tränen ausbrach, wenn man ihr ungefragt ein Küsschen gab, ist entsetzt. Und sollte ihren Mitinsassen nochmal zur Auffrischung die Vorteile des Social Distancing erläutern.
Let it flow
Da sich die Bachelorette zu Beginn einer jeden Folge rund 40 Minuten im nassen Sand räkeln muss und bei Gelegenheit an den Klippen Kretas auch manchmal Yoga praktiziert, führt sie die Produktion nach Emres körperlichem Übergriff zurück an ihren Wohlfühl-Ort Nummer eins. Zu einem romantischen Abendessen mit Meerblick. Ob die Flut die Produktion nach Aufbau des Sets ungünstig überraschte oder die Griechen die Bezeichnung „Dinner with seaview“ zu wörtlich nehmen, bleibt ungeklärt – Fakt ist jedoch, dass Melissa und Österreicher Daniel nicht nur am Meer, sondern tatsächlich im Meer speisen sollen. Und das obwohl selbst die Alte Donau das lukrative Geschäft mit dem Schwimminsel-Verleih bereits für sich entdeckt hat.
Während Österreicher Daniel noch entspannt mit den Füßen im Meer baumelt und dabei in seiner Vorspeise herumstochert, übermannt mich schon allein beim Zusehen der Pinkeldrang. Andererseits ist es für beide bestimmt nicht das erste Mal sich bei Bedarf in den Fluten des Mittelmeers zu erleichtern; da kommt’s auf das eine Mal mehr oder weniger auch nicht mehr an.
Ehrlich währt am längsten
Ganz so sehr flutscht es bei Daniels Kontrahenten in der zweiten Nacht der Rosen allerdings nicht. Zwar schätzt die Bachelorette Ehrlichkeit bei Männern grundsätzlich schon – zu ehrlich sollte es dann aber bitte auch nicht sein. Kandidat Florian etwa rät der Bachelorette „erst mal nur die Männer weiterzulassen, die ihr optisch gefallen“. Und weil Melissa das voll und ganz unterstützt, kommen an seiner statt 15 andere weiter. Nicht darunter: eine Person namens Alexander und Rouven mit dem abgefrorenen Mikropimmel, der laut eigenen Angaben schon für die wahre Liebe hier ist, sich aber eigentlich nur für den Fame angemeldet hat. Und auch für Emre endet die Gratis-Pauschalreise. „Weinen werde ich safe nicht“, verspricht er noch und kommt nicht umhin, dabei ein paar Krokodilstränen zu verdrücken.
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